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Sturz eines 17-Jährigen vom Dach einer Jugendherberge als Arbeitsunfall anerkannt

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat den Sturz eines 17-Jährigen vom Dach einer Jugendherberge als Arbeitsunfall angesehen. Der Sturz hatte sich während eines mehrtägigen, durch den Ausbildungsbetrieb durchgeführten Einführungsseminars ereignet.

Es sei Teil eines gruppendynamischen Prozesses unter Jugendlichen und Ausdruck alterstypischer Unreife, wenn ein 17-jähriger Auszubildender mit dem Willen, einen gemeinsamen Abend mit weiteren Auszubildenden fortzusetzen und in dem Bewusstsein, dass der Flur durch eine Aufsichtsperson überwacht wird, über das Dach der Jugendherberge zum Nachbarzimmer klettert, so die Begründung des LSG.

Der lernbehinderte Kläger hatte eine durch die Bundesagentur für Arbeit geförderte Ausbildung zum Fachpraktiker Hauswirtschaft begonnen. In einer Jugendherberge fand eine dreitägige Einführungsveranstaltung für die Auszubildenden statt. Hieran nahmen insgesamt elf Auszubildende teil; der Kläger war der einzige Mann.

Am ersten Abend fanden in der Gruppe Kooperationsübungen statt. Anschließend hielten sich die Teilnehmer in ihren Zimmern auf; der Kläger besuchte erlaubtermaßen die drei Mädchen im Nachbarzimmer. Es wurde „Blödsinn gemacht, Musik gehört und gequatscht“, auch heimlich Alkohol konsumiert. Dies führte beim Kläger zu einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille. Der Betreuer forderte die Teilnehmer gegen 23 Uhr auf, ihre Zimmer aufzusuchen.

Der Kläger folgte dieser Aufforderung, kündigte den Mädchen, mit denen er den Abend verbracht hatte, jedoch vorher an, über das Dach ins benachbarte Mädchenzimmer zurückzukommen. Diese hielten seine Ankündigung für einen Spaß. Mindestens eine Teilnehmerin sagte zu ihm, dass er „das sowieso nicht machen“ werde. Der Betreuer kontrollierte die Einhaltung der Bettruhe etwa gegen 23.30 Uhr und hielt sich auch weiterhin zeitweise im Flur auf, was die Teilnehmer wussten. Nach dem Kontrollbesuch stand der Kläger wieder auf, öffnete das Fenster und kletterte auf das Dach, um auf diesem Weg zum Mädchenzimmer zu gelangen. Dabei verlor er den Halt, stürzte aus etwa acht Meter Höhe auf den Boden und erlitt mehrere Frakturen. Nach diversen Operationen ist beim Kläger eine massive Bewegungseinschränkung des gesamten linken Armes verblieben.

Die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) gewährte dem Kläger zunächst einen Vorschuss in Höhe von 2.600 Euro auf die voraussichtlich zu gewährenden Geldleistungen, forderte nach weiterer Überprüfung jedoch den vorgeschossenen Betrag zurück und lehnte die Anerkennung des Sturzes als Arbeitsunfall ab. Denn der Entschluss, durch das Fenster in das benachbarte Mädchenzimmer zu klettern, stehe grundsätzlich in keinem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Teilnehmer der Ausbildung und sei somit dem privaten unversicherten Bereich zuzuordnen. Hinzu komme, dass der Kläger alkoholisiert gewesen sei; es sei bekannt, dass auch bei Erwachsenen Hemmschwellen und Gefahrenbewusstsein bei zunehmendem Alkoholspiegel abnähmen. Das Sozialgericht hat die von Kläger angefochtene Entscheidung der BG aufgehoben und den Sturz als Arbeitsunfall anerkannt. Die hiergegen von der BG eingelegte Berufung hat das LSG zurückgewiesen.

Als Teilnehmer an einer von der Bundesagentur für Arbeit geförderten Ausbildungsmaßnahme sei der Kläger bei allen Verrichtungen während des Einführungsseminars unfallversichert gewesen, die in innerem Zusammenhang mit der Ausbildung standen. Das Klettern über das Dach der dreistöckigen Jugendherberge in Richtung des benachbarten Mädchenzimmers mit dem Willen, den gemeinsamen Abend fortzusetzen, und mit dem Wissen, dass der Flur überwacht wurde, stehe noch in einem solchen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Der Versicherungsschutz sei nicht dadurch aufgehoben, dass sich der Kläger mit seiner Kletterei – objektiv betrachtet – in hohem Maße vernunftwidrig und gefahrbringend verhalten habe. Denn sein Sturz sei Folge seiner altersbedingten Unreife und eines für Jugendliche seines Alters typischen gruppendynamischen Prozesses gewesen. Durch das gemeinsame Verbringen des Abends nach Abschluss des Schulungsprogramms bei Musik, Gesprächen, „Quatsch machen“ und maßvollem Alkoholgenuss sei ein gruppendynamischer Prozess in Gang gesetzt worden. Es erscheine nachvollziehbar und gruppentypisch, dass der jugendliche Kläger den Wunsch verspürt habe, den Abend „zu verlängern“. Seine Idee, den Flur zu vermeiden und nach einem anderen Weg zu suchen, sei insoweit ebenfalls einem gruppendynamischen Prozess entsprungen.

Nach der entsprechenden Ankündigung, über das Dach zurückzukommen, die die Mädchen mit Unglauben („das machst du sowieso nicht“) quittiert hätten, sei der Kläger, dem seitens seiner Betreuerin im Kreis seiner Kolleginnen das Streben nach „Coolness“ („Hahn im Korb“) attestiert wurde, in einen gewissen Zugzwang geraten. Mit Blick auf diesen gruppendynamischen Prozess habe er sich nach dem nächtlichen Kontrollbesuch jugend- beziehungsweise gruppentypisch schlafend gestellt und seine Ankündigung wahrgemacht, aus dem Fenster zu steigen. Die Idee, die Konfrontation mit einer eventuell im Flur befindlichen Aufsichtsperson durch die Nutzung eines anderen „Weges“ zu vermeiden, erscheine durchaus naheliegend. Die dann vom Kläger gewählte Lösung, über das Dach zum Nachbarzimmer zu klettern, sei zwar unvernünftig und leichtsinnig, aber nicht komplett fernliegend.

Die Selbstüberschätzung des Klägers, das Mädchenzimmer unfallfrei über das Dach zu erreichen, sei jugendtypisch und unter Berücksichtigung des konkreten Sachverhalts auch nicht völlig vernunftwidrig. Der nach der Hausordnung der Jugendherberge verbotene, vom Kläger nicht bestrittene Konsum von Alkohol lasse den Versicherungsschutz ebenfalls nicht entfallen. So habe keiner der vernommenen Zeugen den Kläger als betrunken beschrieben; auch im erstversorgenden Krankenhaus sei er als ansprechbar, orientiert und lediglich leicht alkoholisiert wirkend eingeschätzt worden. Besondere Auswirkungen einer Alkoholisierung seien damit nicht dokumentiert.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 14.12.2021, L 9 U 180/20

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