Wohnungseigentümer können die Nutzung des gemeinschaftlichen Eigentums mit einem Mehrheitsbeschluss aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht dauerhaft verbieten, wenn infolge des Verbots auch das Sondereigentum nicht mehr genutzt werden kann. Dies hält der Bundesgerichtshof (BGH) fest.
Das Verfahren betrifft ein nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) aufgeteiltes, über 40 Jahre altes und stark sanierungsbedürftiges Parkhaus. Drei der insgesamt elf Ebenen des Parkhauses stehen als eigene Teileigentumseinheit im Sondereigentum der Klägerin. Sie vermietet ihre Einheit an ein benachbartes Hotel. Die übrigen Ebenen mit den Einheiten der Beklagten sind seit Jahren außer Betrieb. Nachdem das Bauordnungsamt Nachweise für die Einhaltung der brandschutztechnischen Mindestanforderungen angefordert hatte, beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich, dass die Ebenen, die zu der Einheit der Klägerin gehören, nicht mehr genutzt werden dürfen. Vor dem Hintergrund, dass die Gemeinschaft eine Sanierung bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgelehnt hatte, wurde der Klägerin gestattet, die brandschutztechnischen Mängel selbst und auf eigene Kosten zu beseitigen; erst nach Vorlage entsprechender Nachweise sollte sie die Nutzung wieder aufnehmen dürfen.
Die Beschlussmängelklage der Klägerin hat das Amtsgericht abgewiesen. Ihre Berufung war erfolglos. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision hat die Klägerin vor dem BGH erreicht, dass der Beschluss für ungültig erklärt wird. Im Grundsatz könnten die Wohnungseigentümer im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung ein auf das gemeinschaftliche Eigentum bezogenes Nutzungsverbot zum Zweck der Gefahrenabwehr beschließen, führt der BGH aus. Das komme aber jedenfalls dann nur aus zwingenden Gründen und in engen Grenzen in Betracht, wenn dadurch die zweckentsprechende Nutzung des Sondereigentums eingeschränkt oder – wie hier – sogar vollständig ausgeschlossen wird. Denn nach der Rechtsprechung des BGH seien die Wohnungseigentümer verpflichtet, die Behebung gravierender baulicher Mängel des gemeinschaftlichen Eigentums zu veranlassen, die eine Nutzung des Sondereigentums zu dem vereinbarten Zweck erheblich beeinträchtigen oder sogar ausschließen. Sie könnten sich nicht darauf berufen, dass ihnen die damit einhergehenden Kosten nicht zuzumuten seien. Dieser Verpflichtung zur Vornahme zwingend erforderlicher Maßnahmen könnten sich die Wohnungseigentümer auch nicht durch ein mehrheitlich verhängtes dauerhaftes Nutzungsverbot entziehen. Als solches wirke sich der angefochtene Beschluss faktisch aus, weil die Beseitigung der Brandschutzmängel der Klägerin überantwortet wurde.
Ein dauerhaftes Nutzungsverbot könnte laut BGH nur dann rechtmäßig sein, wenn, wie es das Berufungsgericht für richtig hält, eine Sanierungspflicht der Wohnungseigentümergemeinschaft gemäß § 22 Absatz 4 WEG alter Fassung (a.F. –nunmehr § 22 WEG) ausgeschlossen wäre; dann müsste die Gefahrenabwehr durch Stilllegung des Gemeinschaftseigentums erfolgen. Der BGH hat nun geklärt, dass die Sanierungspflichten der Wohnungseigentümer, die aus der Überalterung beziehungsweise der mangelnden Instandhaltung des Gebäudes herrühren, durch die genannte Vorschrift nicht begrenzt werden. Zerstört im Sinne von § 22 Absatz 4 WEG a.F. (nunmehr § 22 WEG) sei ein Gebäude nur dann, wenn seine Nutzbarkeit durch punktuelle Ereignisse (wie Brand, Überflutung oder Explosion) wesentlich beeinträchtigt oder aufgehoben ist. Das ergebe sich schon aus dem Wortlaut der Norm mit dem Zusammenhang von Zerstörung, Wiederaufbau und Versicherungsleistung. Nach dem normalen Sprachgebrauch sei ein Gebäude nur dann zerstört, wenn seine Nutzbarkeit ganz oder teilweise aufgehoben ist, nicht hingegen deshalb, weil eine Sanierung hohe Kosten verursacht.
Bestätigt werde diese Sichtweise dadurch, dass das Gebäude „zu mehr als der Hälfte seines Werts“ zerstört sein muss, damit der Anspruch auf Wiederaufbau ausgeschlossen ist. Bei einem punktuellen Ereignis wie einem Flutschaden beziehe sich der Wertvergleich auf den realen Gebäudewert vor und nach der Zerstörung. Bei einem Sanierungsstau fehle es schon an einem konkreten Zeitpunkt, auf den ein „Vorher-Nachher-Vergleich“ realer Werte bezogen werden könnte. Auch wenn die Gesetzesmaterialien unergiebig sind, dürften dem Gesetzgeber bei Abfassung der Norm kurz nach Kriegsende im Jahr 1951 Verschlechterungen von Gebäuden durch Bombenangriffe und damit durch punktuelle Ereignisse vor Augen gestanden haben. Eine analoge Anwendung der Norm scheidet nach Ansicht des BGH ebenfalls aus. Das Gesetz enthalte schon keine planwidrige Regelungslücke. Der in § 22 Absatz 4 WEG a.F. geregelte Ausschluss des Wiederaufbaus stehe in engem Zusammenhang mit der Aufhebung der Gemeinschaft, die das Gesetz grundsätzlich ausschließt (§ 11 WEG a.F.). Eine erleichterte Aufhebung der Gemeinschaft bei Überalterung des Gebäudes oder Unrentabilität der Sanierung sei im jüngsten Gesetzgebungsverfahren ausgiebig diskutiert worden, ohne dass dies in der zum 01.12.2020 in Kraft getretenen Neufassung des WEG aufgegriffen worden wäre. Die begrenzte Lebensdauer von Gebäuden könnte zwar auf rechtspolitischen Handlungsbedarf schließen lassen; eine planwidrige Regelungslücke sei aber nicht erkennbar, nachdem der Gesetzgeber in Kenntnis des Problems von einer Neuregelung abgesehen hat.
Zudem lasse sich die Zerstörung eines Gebäudes auch nicht – wie es eine Analogie weiter voraussetzte – mit einem Sanierungsstau vergleichen. Gerade Brandschutzmängel, marode Leitungen oder energetische Defizite ließen sich bei älteren Gebäuden häufig nur mit sehr hohem Sanierungsaufwand beheben; trotzdem könne sich eine Sanierung als rentabel erweisen. Erst recht lasse sich die Angemessenheit der Rechtsfolge des § 22 Absatz 4 WEG a.F. bei einem Sanierungsstau bezweifeln. Insbesondere bei Wohngebäuden erscheine es nämlich wenig überzeugend, einen Mehrheitsbeschluss über die Sanierung ab Erreichen einer Wertgrenze zu untersagen, obwohl die Mehrheit der Wohnungseigentümer die Nutzbarkeit ihrer Wohnungen dauerhaft sicherstellen möchte. Die mit dem Ausschluss des Wiederaufbaus zusammenhängende rechtspolitische Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Gemeinschaft gegen den Willen einzelner Wohnungseigentümer beendet werden kann, dürfe nicht durch richterliche Rechtsfortbildung, sondern nur durch den Gesetzgeber entschieden werden. In diesem Verfahren sei ohnehin nicht die Aufhebung der Gemeinschaft, sondern allein die Wirksamkeit eines dauerhaften Nutzungsverbots zu beurteilen gewesen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.10.2021, V ZR 225/20