Ein Anspruch auf die Sachleistung der Präimplantationsdiagnostik besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der nunmehr durch § 2 Absatz 1 a Sozialgesetzbuch V (SGB V) umgesetzten so genannten Nikolaus-Rechtsprechung. Dies hebt das Sozialgericht (SG) Stuttgart hervor.
Die Kläger sind beide homozygote Träger der detektierten ASS1-Veränderung. Bedingt durch diese genetische Disposition besteht ein erhöhtes Risiko für ihre Nachkommen, an einer Stoffwechselerkrankung des Harnstoffzyklus mit schwerem Krankheitsbild und hoher Mortalität zu erkranken. Die Kläger beantragten bei der Beklagten die Durchführung der Präimplantationsdiagnostik (PID) als Sachleistung. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Hiergegen richtete sich die Klage, in der sich die Kläger unter anderem auf die so genannte Nikolaus-Rechtsprechung stützten.
Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf die gewünschte Leistung ergebe sich nicht aus § 27 Absatz 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB V. Die Kläger seien zwar Träger der Krankheit Citrullinämie Typ I. Jedoch sei die PID keine auf die Besserung oder Behebung dieses Zustandes gerichtete Behandlung. Die PID ziele als Maßnahme nicht auf die Heilung oder Linderung dieses Leidens ab. Sie solle vielmehr dazu dienen, den Ausbruch einer zukünftigen Krankheit bei einem zukünftigen Nachkommen der Kläger zu verhindern. Einem Anspruch aus § 27 a SGB V, der den Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung regele, stehe entgegen, dass die PID keine solche Maßnahme sei. Zweck der PID sei gerade nicht die Überwindung von Unfruchtbarkeit und die Herbeiführung einer Schwangerschaft.
Etwas Anderes ergebe sich schließlich auch nicht aus § 2 Absatz 1 a SGB V, wonach Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Absatz 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen können, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Norm könne hier schon deshalb keine Anwendung finden, weil keine Krankheit der Kläger behandelt werden solle. Insofern könne auch nicht auf die hypothetische Erkrankung des potenziellen Nachkommen abgestellt werden, da im Präimplantationsstadium der Embryo nicht als Versicherter oder Leistungsberechtigter angesehen werden könne. Darüber hinaus solle § 2 Absatz 1 a SGB V die Heilungschancen bei lebensbedrohlichen Krankheiten erhöhen. Es müsse eine Aussicht auf Heilung oder eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehen. Demgegenüber diene die PID der Untersuchung und der Auslese von künstlich befruchteten Eizellen.
Sozialgericht Stuttgart, Gerichtsbescheid vom 03.04.2020, S 28 KR 1051/19